Erzieherin, Busfahrerin, Feuerwehr- oder Meerjungfrau – so oder ähnlich antwortet meine Tochter, wenn ich sie nach ihrem Berufswunsch frage. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie in 20 Jahren einen Beruf ausüben wird, den wir heute noch gar nicht kennen (weitere Gedanken in meinem Artikel „10 Dinge, die ich über die Digitalisierung gelernt habe“). Ich kann mich noch an die Postbotin oder die Hebamme erinnern, die ich mal werden wollte. Tja, und jetzt mache ich Personalmarketing!
Meine Tochter hat mich zwar noch nicht nach meinem Beruf gefragt, aber das kommt bestimmt! Also, was antworte ich dann? Für mich ist Personalmarketing auf jeden Fall eine der spannendsten Aufgaben im Personalmanagement, und so freue ich mich, dass ein neues Buch erschienen ist, was genau diese Vielfalt in den Mittelpunkt rückt: In „Personalmarketing in 3D. Die vielfältige Disziplin“ kommen 22 Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichsten Disziplinen, Funktionen und Branchen zu Wort. Silke Wöhrmann ist eine von ihnen und zugleich Herausgeberin des Buches, das wir am Ende des Interviews verlosen.

Ich bin Betriebswirtin, habe an der Uni Hamburg studiert und bin zunächst ins Marketing eingestiegen. Nach einer weiteren Station als selbstständige Trainerin bin ich 1991 als Leiterin der Personalentwicklung und Personalmarketing an das Universitätsklinikum Eppendorf Hamburg gekommen. Das waren 15 spannende und prägende Jahre. Ich hatte viele Freiheiten und konnte Konzepte entwickeln, die es zu der Zeit noch nicht gab. Auch Personalmarketing war noch sehr unbekannt, Krankenhäuser durften ja per se keine Werbung machen. 2016 bin ich dann zurück in die vollberufliche Selbstständigkeit, und arbeite nun als Coach, Trainerin, Consultant und Lehrbeauftragte.
Und, die Idee zu dem Buch ist dann wie genau entstanden? Was war die Motivation?
Ich habe Blogbeiträge für den Wirtschafts-Thurm von Professor Manschwetus geschrieben. So haben wir uns kennen- und schätzen gelernt und die Idee zum Buch war geboren. Hinzu kam dann Prof. Ahrendt von der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Auch wenn es letztlich schon einige Publikationen zum Personalmarketing gibt, sahen wir, dass sich die Disziplin selbst noch findet und entwickelt. Die Meinungen, was Personalmarketing beinhaltet oder auch nicht, sind sehr vielfältig, und es wird wahrscheinlich noch ein paar Jahre dauern, bis sich die Disziplin gefestigt hat. Unser Ansporn mit dem Buch ist daher, die verschiedenen Perspektiven aufzuzeigen, so dass sich der Leser selbst ein Bild machen kann. Wir schärfen den Blick auf das Personalmarketing aus drei Perspektiven: Der Wissenschaft, der Praxis und der Dienstleistung, wo wir auch Bewerber zu Wort kommen lassen.
Meine erste spontane Assoziation zum Titel ging in die Richtung von sehr innovativen Techniken im Personalmarketing, wie zum Beispiel Virtual Reality. Inwiefern wird der Titel diesen Assoziationen gerecht?
Ja sicherlich, der Titel soll neugierig machen, aber nicht im Fokus auf technische Innovationen im Personalmarketing. „3D“ bezieht sich auf die drei genannten Dimensionen Wissenschaft, Praxis und Dienstleistung. Den Anspruch innovativ zu sein haben wir mit unserem Buch dennoch, denn einige Artikel sind provozierend und beinhalten durchaus innovative Ideen. Im Teil der Wissenschaft berücksichtigen wir zum Beispiel nicht nur die Perspektive der Wirtschaftswissenschaften, sondern auch die der Psychologie und der Neurowissenschaft. Bei den Praxisbeiträgen haben wir Wert darauf gelegt, dass wir Autoren zu Wort kommen lassen, die möglichst authentisch beschreiben, was sie erlebt haben, wie sie vorgegangen sind, aber auch wo es Schwierigkeiten gab.
An wen richtet sich das Buch? Und, was möchten Sie mit dem Buch erreichen?
Ein Schwerpunkt liegt bei KMUs, der andere in der Lehre. Das Buch soll den Studierenden nicht nur Theorie vermitteln, sondern auch zeigen, wie es in der Praxis läuft. Zudem wenden wir uns an alle LeserInnen, die sich erstmalig mit dem Thema beschäftigen, einen schnellen Überblick bekommen und erste Ideen entwickeln wollen.
Aber auch Experten sind herzlich eingeladen, das Buch zu lesen. Ich selbst habe während der Begleitung des Buchs viel gelernt und tolle Aha-Momente gehabt, da wir auch ein geschultes Auge anregen, eine andere Perspektive auf die Disziplin einzunehmen. Mein Wunsch oder Traum ist es, Personalmarketing zu einer ernstzunehmenden Disziplin zu machen und sie stärker zu professionalisieren und zu profilieren. Das können wir nur, wenn wir alle Beteiligten zusammenbringen, womit ich explizit auch die Kunden des Personalmarketings, also Kandidaten, Bewerber, Mitarbeiter, mit einbeziehen möchte.
Für Unternehmen lohnt sich das Lesen, denn auch hier sehe ich teils großen Nachholbedarf. Sie stellen einen Recruiter ein, verlagern das Problem der Personalfindung auf eben diese Person, so dass es heißt, ich mache jetzt Personalmarketing. Wenn sich dann kurzfristig kein Erfolg einstellt und die Bewerbungen nicht in die Höhe schießen, dann lassen sie es lieber wieder. Was es braucht, ist ein langer Atem und eine klare Strategie, an der langfristig gearbeitet werden muss.
Das setzt natürlich Ressourcen voraus, aber gutes Personalmarketing ist nicht nur abhängig vom Geld, sondern vor allem von Ideen, die entwickelt und auch umgesetzt werden. Hier wünsche ich mir mehr Mut, Dinge anders zu machen und Neues auszuprobieren. Viele Unternehmen bleiben in ihrem Saft, und machen Dinge, die sie selbst gut finden. Aber es ist wichtig Dinge zu machen, die die Kunden (Kandidaten, Mitarbeiter) gut finden. Nehmt stattdessen die Perspektive der Kunden ein! Wofür es übrigens keine großen Marktanalysen oder Institute braucht, sondern sprecht Face to Face mit euren Bewerbern, ladet sie zum Workshop ein und arbeitet mit ihnen gemeinsam an Maßnahmen.
Ich merke schon, die Haltung von Unternehmen im Recruiting ist Ihnen ein großes Anliegen. Das knüpft nahtlos an Ihren Beitrag im Buch an, der den spannenden Titel trägt: New Recruiting und das Call-Meet-Engage-Konzept. Das müssen Sie uns nun näher erläutern:
Der Begriff „New Recruiting“ ist ein Aufruf zu einem neuen Denken im Recruiting. Zum einen das Denken in Prozessen bzw. das Hinterfragen etablierter Prozesse. Ich habe mit vielen Unternehmen gearbeitet und war schockiert, was es an Prozessen gibt, bis der Bewerber tatsächlich eingestellt wird oder eben nicht. Lange Prozesse bedeuten für ein Unternehmen nicht nur hohe Kosten, sondern auch, dass Bewerber lange warten müssen, was sich heutzutage niemand mehr leisten kann. Das ist also etwas, was dringend renoviert werden muss. Hier eignet sich die Orientierung am Call-Meet-Engage-Konzept, um das Ganze auf nur drei Prozessschritte zu reduzieren: Den telefonischen Kontakt zum Bewerber, das persönliche Treffen um seine kulturelle Passung zum Unternehmen zu überprüfen, um dann im dritten Schritt im unternehmerischen Umfeld, zum Beispiel über eine Hospitation, seine Fähigkeiten abzuklopfen. So kann es auch ermöglicht werden, dass eine Führungskraft vor dem Antritt der neuen Stelle auch einmal seine Mitarbeiter sieht.
Ziel ist es, erst die Prozesse zu hinterfragen, und wenn ich diese habe, passende eignungsdiagnostische Maßnahmen daran zu knüpfen. Das heißt auch, dass sich die Eignungsdiagnostik, die unter ganz anderen Arbeitsmarktbedingungen in den 70er Jahren entstanden ist, neu finden muss. Die Frage ist hier: Wie können wir Potentiale und Fähigkeiten valide diagnostizieren, aber in einem ganz anderen Tempo und mit neuen Ansätzen, die den Bewerber nicht zu sehr strapazieren bzw. verschrecken? Andernfalls wird die Eignungsdiagnostik nur als störend bei der Gewinnung von Bewerbern empfunden und läuft Gefahr, in der Personalmarketing-Diskussion untergehen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, wie der Ansatz umgesetzt werden kann?
Heute geht es so: Unternehmen messen – wenn sie es dann tun – viel zu viele Kompetenzen, fahren einen hohen Aufwand mit AC´s, Persönlichkeitstests, packen noch einen Intelligenztest drauf, lassen den Bewerber telefonisch und zweimal persönlich in unterschiedlichen Städten anrücken – und wenn der Bewerber dann durchgecheckt ist, kommt die Frage: „Passen wir überhaupt zusammen, passt dieser Mensch in unser Team?“ Wenn es dann „nein“ heißt, war der ganze Prozess umsonst. Warum stellen wir diese wichtige Frage nach dem Cultural Fit nicht einfach gleich am Anfang? Wichtig ist aber, hier nicht nur über subjektives Bauchgefühl zu gehen, sondern konkret über Werte, die dieser Mensch mit dem Unternehmen teilt. Es klingt provokativ, aber streicht die langen Anforderungsprofile einfach weg. Sie müssen ohnehin hinsichtlich der VUCA-Welt dringend überarbeitet werden. Geht rein in die Ziele, die mit einer Position verbunden sind und diagnostiziert 3-4 Kompetenzen, die es braucht, um die Ziele zu erreichen. Ladet Kandidaten zum Probearbeitstag ein, um sie abseits von „Laborsituationen“ kennenzulernen. Ein Beispiel: Wenn ein Cowboy jemanden für seine Truppe sucht, lässt er ihn a) auf Flaschen o.ä. schießen, b) reiten. Wenn das klappt, ist er dabei. Wir jedoch testen noch, ob er auch die Waffe im Schlaf auseinander- und wieder zusammensetzen kann (Analytische Kompetenz), ob er Mitleid mit der Flasche empfindet (Soziale Kompetenz) und ob er ein Natural Horsemanship Zertifikat besitzt (Zusätzliches Engagement).
Haben Sie denn ein persönliches Lieblingskapitel oder -case aus dem Buch? Oder gab es etwas, dass sie besonders überrascht hat?
Als Herausgeberin ist es natürlich schwierig, jemanden hervorzuheben. Jeder Autor hat dazu beigetragen, das Buch zu dem zu machen, was es ist. Ganz persönlich hat mich der Artikel von Benny Briesemeister aus Sicht der Neurowissenschaft besonders fasziniert. Er schreibt über Loyalität, wie sie entsteht und wie sie eben nicht entsteht sowie über die Zusammenhänge der Mitarbeiterbindung. Auch die Thesen von Professor Kanning sind äußerst spannend: Er sagt, es sei nicht relevant, wie viele Bewerbungen eingereicht werden, sondern welche Qualität die Bewerbungen haben. Wenn nur eine Bewerbung kommt und die ist gut: Reicht doch!
Sie haben jetzt ein ganzes Buch herausgegeben, aber zum Schluss noch einmal kurz und knapp in drei Sätzen: „Was ist Personalmarketing“?
Das ist eine sehr harte Frage. Es wäre fast schon vermessen zu behaupten, dass ich das jetzt beantworten kann. Aber für mich persönlich, ohne es jetzt definieren zu müssen, ist es eine der faszinierenden Disziplinen, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Zum einen geprägt durch die Vielfalt, die wir in jedem Fall erhalten sollten. Zum anderen geprägt durch die Innovationen, die im Personalmanagement in dieser Form bisher noch nicht vorgekommen sind. Wichtig ist auch, den Fokus nicht nur auf das Recruiting zu beziehen, sondern auf die Mitarbeitergewinnung und die Mitarbeiterbindung.
Ich sehe aber auch eine gewisse Gefahr in der Konkurrenz zwischen Personalmarketing und Personalentwicklung. Doch anstatt um Ressourcen und Positionierung zu konkurrieren, würde ich mir eine stärke Kooperation zwischen beiden wünschen, weil sie voneinander profitieren können. Dieser Aspekt der Koordination verschiedener HR-Themen fehlt bisher weitestgehend – sowohl in der Praxis als auch in der Literatur. Das wäre vielleicht ein gutes Thema für ein neues Buch :-).
Liebe Frau Wöhrmann, herzlichen Dank für den spannenden Einblick in das Buch! Wer Frau Wöhrmann und weitere Autoren persönlich kennenlernen möchte, der kommt am besten zur öffentlichen Autorenkonferenz am 27. März 2019 in Hamburg. Zur Anmeldung und für weitere Informationen bitte hier entlang.
Wer das Buch gewinnen möchte, schickt mir bitte eine Mail mit dem Stichwort „Personalmarketing in 3D“ an: willkommen@salonderguten.de. Für alle, die leer ausgehen, geht’s dann hier entlang.