Wie es ist, unter Schafen zu arbeiten, hat Henner Knabenreich in seinem Blogbeitrag und Interview „#TraumberufSchäfer: Wenn Wanderschäfer zwitschern“ eindrucksvoll beschrieben. Aber, wie ist es unter Kühen? Was bietet der #TraumberufBergbauer? Daran musste ich denken, als ich auf der re:work.re:balance im vergangenen Herbst Katharina Afflerbach kennenlernte, die genau diese Erfahrung gemacht hat: Drei Sommer über hat sie für je vier Monate auf einer Alp in den Schweizer Bergen angeheuert. Eine Auszeit der besonderen Art, wie sie mir im Interview schildert: Über schmerzende Muskeln, Pragmatismus, Teamwork und Sehnsüchte nach einer idealen Arbeitsumgebung.
Liebe Katharina, was waren die Beweggründe für deine Entscheidung, auf die Alp zu gehen?
Meine erste Alpsaison 2014 stellte für mich die Brücke zwischen Angestelltenjob und Selbständigkeit dar. Ich wollte mir den Übergang vom alten ins neue Arbeitsleben richtig bewusst gestalten und etwas komplett anderes machen, bevor das Abenteuer Selbständigkeit auf mich wartete. In den Monaten vor meiner Kündigung hatte ich die Ausbildung zum systemischen Coach und Veränderungsmanager durchlaufen, was mich verändert, gestärkt und für die neuen Erfahrungen geöffnet hat. Auf der Alp wollte ich dann alles, was mich vom Angestelltenjob entfremdet hatte, verdauen und Platz für das Neue schaffen. Da ich es liebe, draußen und in den Bergen zu sein, habe ich mir für mein Projekt diese Kulisse ausgewählt.
Worin lag die größte Herausforderung in deinem Arbeitsalltag auf der Alp?
Die einfachste Antwort auf diese Frage wäre: Das so komplett andere Leben! Da ist zum einen all das Fremde: das Schweizerdeutsch, die ungewohnte Arbeit mit den Tieren, das frühe Aufstehen zum Melken, das Draußensein bei Wind und Wetter. Zum anderen ist da all das, was mit Dir passiert, durch Muskelkater und schwere Beine, durch die Enge und Einfachheit auf der Berghütte, durch das Gezwungensein, sich auf das Hier und Jetzt einzulassen und sein Glück nicht parallel noch irgendwo sonst, offline oder online, finden zu können.
Tatsächlich war meine größte Herausforderung im ersten Sommer, dass ich schlichtweg nicht wusste und noch nicht einmal ansatzweise erahnen konnte, was auf mich zukam. Ich kannte die Abläufe, Arbeitsschritte und die Wege über das riesige Gelände noch nicht. Ich war daher in den ersten Wochen nicht in der Lage, mir meine Kräfte einzuteilen, und das plagte mich. Hinzu kam, dass ich mich durch diese Unkenntnis auch mental nicht wappnen konnte. Ich musste meinem Geist regelrecht befehlen, erst einmal nicht mitzudenken und zu hinterfragen, sondern einfach anzunehmen: „Es wird schon alles seinen Sinn haben, es wird schon richtig sein, dass wir die Arbeiten so und nicht anders verrichten, schließlich wird die Alp schon seit Jahrhunderten bewirtschaftet“, sagte ich mir selbst. Dabei fühlte es sich eigentlich richtig gut an, nach Jahren mit Führungsverantwortung mal nicht mitdenken oder vordenken zu müssen. Dieses vollständige Sich-Einlassen, dieses Vertrauen-Müssen war eine großartige Erfahrung.
Für welche Erfahrungen bist du besonders dankbar?
Jeder Sommer hat mir andere Erfahrungen ermöglicht. Ausgerechnet mein erster war der wahrscheinlich regenreichste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Dazu brauche ich wohl nichts weiter zu sagen ;). Besonders dankbar bin ich dafür, dass ich mit meinen Aufgaben wachsen konnte. Die Aufgabe mit der Alp hatte ich mir ja selbst gestellt. Im zweiten Sommer sagte mein Chef mal zu mir, als wir gerade – frag mich nicht wie – eine 200 kg schwere Kabeltrommel einen Berg hinaufgerollt haben: „Kathi, Du weißt gar nicht, wie stark Du bist.“ Für diesen Satz bin ich sehr dankbar und ich erinnere mich gern an ihn, wenn mir Schwieriges begegnet. Und dann gibt es da noch den Satz, der am Ende der ersten Saison plötzlich in meinem Kopf war: „Die Insel der Glückseligkeit liegt im Ozean Deiner Möglichkeiten.“
Was hat dich der Arbeitgeber Alp gelehrt?
Als allererstes ist mir aufgefallen, dass nicht viel diskutiert wird, dass wirklich jede Hand gebraucht wird und dass immer klar ist, wonach wir uns ausrichten: nach dem Wetter und nach den Tieren. Das Befriedigende am Bergbauerndasein – jetzt mal abgesehen von der schönen Natur, Käsefondue oder den fantastischen Sonnenuntergängen – ergibt sich meiner Meinung nach also zum großen Teil aus den ganz eindeutigen Rahmenbedingungen. Das Ziel Deiner Arbeit ist zu jedem Zeitpunkt klar: Der Stall muss ausgemistet, der Zaun geflickt, der Baum gefällt sein. Punkt. Und dabei ist völlig egal, wer was macht, unabhängig von Jobtitel oder Prestige, denn es gibt da oben keine Arbeit, die mehr oder weniger wert ist, die mehr oder weniger Ansehen hat. Oben auf der Alp habe ich tatsächlich die beste Teamarbeit meines Lebens kennengelernt. Das lag bestimmt auch daran, dass jeder echte Verantwortung getragen hat. Wenn Dir im Nebel ein Rind fehlt und Du entdeckst ein Loch im Zaun, darfst Du nicht entscheiden, was zu tun ist. Sondern Du musst entscheiden. Jetzt. Volle Konzentration auf die Lösung.
Mal angenommen, du entscheidest dich irgendwann wieder für ein Angestelltenverhältnis, was ist dir wichtig? Was würdest du dir von deinem Arbeitgeber wünschen?
Ich habe auf der Alp erleben dürfen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das wünsche ich allen Arbeitnehmern! Wir alle haben vielleicht schon einmal gefühlt, was das ausmachen kann: Wenn wir spüren, dass wir wirklich gebraucht werden – so wie auf der Alp, wo buchstäblich jede Hand gebraucht wird, wenn wir uns dessen bewusst sind, dass wir alle miteinander verbunden sind und unser Engagement sich direkt auf andere auswirkt, und wenn wir die Chance bekommen, mitzugestalten, handelt es sich um gesunde Strukturen und eine kreative Atmosphäre. Das würde mir gefallen – und, mit weniger möchte ich mich nicht zufrieden geben ;).
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Auch wenn Katharinas Alpalltag leider wenig mit der Bauernhof-Idylle zu tun hat, die ich mir für den nächsten Familienurlaub wünsche, haben mich ihre kraftvollen und leidenschaftlichen Erzählungen sehr beeindruckt. Ihre Geschichte inspiriert mich – persönlich und mit Blick auf mein Interesse für eine bessere Arbeitswelt und Wandel in Unternehmen: Wie wäre es, das Management oder Team anstatt zum gemeinsamen Kletter-Workshop gemeinsam auf einer Alp arbeiten zu lassen? Oder, warum können 2-Wochen „Grenzerfahrung“ auf einem Bergbauernhof nicht auch anerkannter Bildungsurlaub für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein?
Für Katharina war 2016 übrigens der letzte Sommer auf der Alp. Wer neugierig geworden ist – es ist also eine Stelle frei geworden ;-). Weitere Infos und offene Alpstellen unter: www.zalp.ch
Weitere Infos zu Katharina und ihrem Unternehmen unter: www.ideen-afflerbach.com
Liebe Katharina, herzlichen dank für deine Eindrücke und deine Zeit! Alles Gute für deinen ersten Sommer ohne Alp!